Halle (Saale), 20. September 2025 – F. Rentrop
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Man vertrödelt ewig,
um etwas zu kapieren –
fast gemütlich.
Und kaum ist’s da,
drückt schon die Uhr,
als hättest du
null Sekunden übrig.
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Also entschlossen: Vinyl wiederaufbauen. Warum ich die Platten damals verkauft habe, weiß ich selber nicht mehr. Irrational. Keine Erklärung, nur ein Loch im Regal. Also neu: Gebraucht. Erstauflage. Deutschlandpressung. Appetite for Destruction – selbsterklärend, ein Icon, das mehr verspricht als ein Samstagabend. Dummy von Portishead daneben, diese gespenstische, feine Traurigkeit, als würde man sich selbst beim Weinen aufnehmen.
Eine Begegnung ist geplant – aufregend, möglich. Und doch: kein Plattenspieler. Typisch.
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Der Geruch der Herdplatte mit Wasser im kleinen Topf. Metallisch. Aber nicht unangenehm. Kein Blut im Mund, eher wie ein Parfüm, das man nie gekauft hat, das aber trotzdem da ist. French Press gleich. Dieses Versprechen: gleich Kaffee, gleich etwas, das Ordnung macht. Nicht die große Ordnung, die kleine. Reicht ja.
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Ich lese erneut von vorn Nach Notat zu Bett: Heinz Strunks Intimschatulle. Das Buch rückt mir den Tag zurecht, als wäre es ein zerknittertes Hemd, das plötzlich glatt am Bügel hängt. Ich hoffe auf Struktur, geliehene Disziplin, einen fremden Takt, der mich weiterschiebt. Und tatsächlich: es greift. Nicht groß, nicht heilend, aber zuverlässig. Es funktioniert. Und was bleibt, ist genau das: ein kleines Funktionieren, das reicht wie Liebe. Heinz Strunk liefert dazu den Kommentar zu meiner Selbstverarschung.
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Die Novelle wächst, und draußen bleibt alles offen. Die Begegnung wird stattfinden oder ausbleiben. Vinyl kommt vielleicht wieder. Vielleicht nie. Mal knirscht die Zunge im Mund, als wäre sie Sandpapier, mal dreht alles so hoch, dass selbst das Atmen wie eine Anlage auf voller Lautstärke wirkt. Wechselnd, nicht planbar. Ich habe einen Plan: Im Zweifel bleibt der Kaffee. Das Ritual reicht für jetzt. Man nippt, schaut, raucht. Und es geht weiter. Immer weiter. Keine Abkürzung. Aber weiter.
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Ich habe eine neue Begriffsminiatur:
Umsturzsekunde
Substantiv, Feminin [⟨gehoben, dramatisch⟩]
1. Der Augenblick, in dem ein zunächst sanftes, sich ausdehnendes Begreifen plötzlich in sein Gegenteil umschlägt und zur harten, endgültigen Einsicht wird.
2. übertragen: Ein Moment, der die Illusion von Wandlung und Weite abrupt beendet und durch eine nicht mehr verhandelbare Klarheit ersetzt.
Beispiel: „In der Umsturzsekunde wurde aus seiner Hoffnung ein scharfes Verstehen.“
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Klang des Tages: Modest Mouse - The World at Large