Schlagwort: Neolyrik

  • Nur eine Bar

    Ein Schatten klebt am Tresen.
    Kein Mangel, sondern Wärme, die beißt.
    Kein Aperol, kein Blitzlicht,
    kein kitschiger Firlefanz.
    Die Burg guckt weg. Hier guckt keiner hoch.
    Patina heißt hier: abgenutzt, also echt.
    Hier glänzt nichts. Also stimmt’s.

    Die Gäste.
    Immer andere, immer gleich.
    Die Bar spuckt sie aus, saugt sie ein.
    Heute hier, morgen Legende.
    Als wären sie aus Filmen,
    die keiner zu Ende guckt.
    Kein Vertrag, nur Schnaps.
    Jeder verloren, jeder am Leben.
    (Statisten mit Sprüchen, ohne
    Applaus.)

    Der Kripo-Mann.
    Stimme wie ein altes Tonband.
    DDR im Atem, verraucht und körnig.
    „Das Gute“, brummt er.
    Meint Bier, die Jahre, vielleicht sich.
    Nie direkt, immer um die Ecke.
    Trinkt, als würde gleich einer fragen.
    Sätze wie Akten: verstaubt, aber schwer.
    (Verhör? Mit Kippe. Nie mit Druck.)

    Der Binnen-Kapitän.
    Flüsse im Kopf, brackig und tief.
    Lachen wie ein Motor, der hustet.
    Kurz, rau, ohne Schnörkel.
    Seine Hände reden,
    sortieren Karten, die keiner sieht.
    Mehr Kurs im Kopf als auf jedem Plan.
    (Heimathafen? Nur ein Anker fürs Zurück.)

    Der Skateboarder.
    Locker. Ohne Show.
    Schuhe, abgelaufen, und Wege, die
    nirgendwohin führen.
    Blick geradeaus, doch er sitzt fest.
    Positiv, als wüsste er: morgen geht schon klar.
    Nimmt alles, wie’s kommt. Kein Stress.
    (Vier Rollen. Fünf Züge. Fertig.)

    Der Eingestiegene.
    Ex-Wessi, jetzt festgewachsen.
    Verpasste den Zug, fand den Tresen.
    Kein Plan, doch bringt er Ideen.
    Zwischen gestern und Glas.
    Einfach da:
    ein Bier, ein Nicken, gut.
    (Her geflüchtet. Stets zugepackt.)

    Die Chefin.
    Keine Pose, nur Rückgrat.
    Kennt jeden Namen, jede Lüge.
    Tresen und Wille: unzertrennlich.
    Was zählt, bringt sie. Und es sitzt.
    Mächtig, ohne Fanfare.
    Wenn sie was sagt, hörst du auf.
    Sie hält die Bude zusammen,
    die anderen drehen Kreise,
    sehen’s nicht.
    Hart im Kern. Keiner merkt’s.
    Bis einer’s verdient. Dann knallt’s.
    (Sieht weich aus. Ist Stahl.)

    Holz, Bier, Rauch.
    Die Bar feiert, indem sie atmet.
    Ein Schaum, der kam und ging.
    Kein Plakat, kein Jubel.
    Nur: Hier.
    Gestern steckt in den Flecken
    auf den Tischen.
    Morgen? Scheiß drauf.
    Das Jetzt hält. Bis die Tür fällt.
    (Wer hier war, schleppt die Bar mit.)

    Ein Ort, der bleibt, weil er muss.
    Weil er nichts anderes kennt.
    (Konzept? Leben. Das reicht.)
    Eine Bar.
    Nur eine Bar.
    Ein paar Bier. Gespräche.
    Dunkel genug, dass du bleibst.
    Seite genug, dass du gehst.
    Pointe? Keine.

    Frederik Rentrop
    Halle (Saale), 2025
  • Begriffsminiaturen

    Nach meiner Ankunft in Halle im Herbst 2024 Beginn einer Sammlung von Begriffsminiaturen. Besser: poetischer Schattenbegriffe. Oder auch leiser Exzesse. Ich weiß es nicht. Fortsetzung folgt fortlaufend. Vorgenommen. Zumindest.

    Umsturzsekunde
    Substantiv, Feminin [⟨gehoben, dramatisch⟩]
    1. Der Augenblick, in dem ein zunächst sanftes, sich ausdehnendes Begreifen plötzlich in sein Gegenteil umschlägt und zur harten, endgültigen Einsicht wird.
    2. übertragen: Ein Moment, der die Illusion von Wandlung und Weite abrupt beendet und durch eine nicht mehr verhandelbare Klarheit ersetzt.
    Beispiel: „In der Umsturzsekunde wurde aus seiner Hoffnung ein scharfes Verstehen.“

    Regenverzehrgenehmigung
    Substantiv, Femininum; Genitiv: -; Plural: -en [⟨poetisch, verspielt⟩]
    1. Innere Erlaubnis, beim Kaffeetrinken im Café mehr zu bestellen – nicht aus Hunger, sondern mit der Begründung, dass gleich der Regen einsetzt und man dadurch Zeit gewinnt.
    2. übertragen: Das stille Abkommen zwischen Himmel und Magen, dass Wolken den Appetit rechtfertigen – auch wenn sie sich am Ende oft verziehen.
    Beispiel: „Die Wolken hingen schwer, und ich erteilte mir selbst eine Regenverzehrgenehmigung: noch ein Stück Kuchen, während der Regen ausblieb – aus Respekt vor dem Regenbogen.“

    Echospiel
    Substantiv, Neutrum; Genitiv: -s, Plural: -e [⟨poetisch, intim⟩]
    1. Das Hin- und Herschicken von Sprachnachrichten, nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus der Lust, Stimme und Schweigen in ein Spiel zu verwandeln.
    2. übertragen: die Kunst, Nähe im Abstand entstehen zu lassen, indem jede Verzögerung wie ein Versprechen klingt.
    Beispiel: „Im Echospiel wurde das Warten selbst zum Teil der Verführung.“

    Löschklarheit
    Substantiv, Femininum; Genitiv: -, Plural: -en [⟨poetisch, melancholisch⟩]
    1. Der Moment bewusster Entscheidung, eine digitale Spur (Nachricht, Bild, Erinnerung) zu tilgen, in der Überzeugung, dass dies Befreiung bringt.
    2. Das unmittelbare oder verzögerte Bedauern über den unwiderruflichen Verlust dieser Spur, die eine emotionale oder existenzielle Bedeutung hatte.
    3. übertragen: Jeder Akt des absichtlichen Loslassens – von Menschen, Orten, Erinnerungen –, der von einer plötzlichen Sehnsucht nach dem Verlorenen begleitet wird.
    Beispiel: „Die Löschklarheit dauerte nur einen Moment: Die Nachricht war verschwunden, die Sehnsucht nach ihr begann sofort.“

    Buchraubrecht
    Substantiv, Neutrum [⟨poetisch, provokativ⟩]
    Die moralische Rechtfertigung, ein Buch zu stehlen, nicht aus Habgier, sondern aus dem Drang, sein Innerstes zu bewahren.
    Beispiel: „Im Buchraubrecht liegt die Überzeugung, dass ein entwendetes Werk nie wirklich gestohlen, sondern vor dem Vergessen gerettet wird.“

    Koffersehnsucht
    Substantiv, Femininum; Genitiv: -, Plural: -e [⟨poetisch, sehnsüchtig⟩]
    1. Das Packen eines Koffers mit dem gleichzeitigen Wunsch, ihn niemals zu tragen.
    2. übertragen: die Spannung zwischen Aufbruch und Bleiben.
    Beispiel: „In ihrer Koffersehnsucht war sie schon unterwegs und noch daheim.“

    Kofferlast
    Substantiv, Femininum; Genitiv: -, Plural: -en [⟨ironisch, alltagsnah⟩]
    1. Das Übermaß an Gepäck, das eine Reise schon vor dem Beginn beschwert.
    2. übertragen: die Spannung zwischen dem Versprechen von Freiheit und der Schwere des Mitgenommenen.
    Beispiel: „Die Kofferlast machte den Urlaub schwerer als den Alltag.“

    Flaschenabschied
    Substantiv, Maskulinum; Genitiv: -s, Plural: -e [⟨poetisch, elegisch⟩]
    1. Das Wegwerfen von leer getrunkenen Flaschen, die zuvor ein ganzer Abend waren.
    2. übertragen: das endgültige Loslassen einer Erinnerung, die nur noch als Hülle nachhallt.
    Beispiel: „Der Flaschenabschied klirrte noch, als er längst gegangen war.“

    Vorwortstarre
    Substantiv, Femininum; Genitiv: -, Plural: -n [⟨poetisch, existenziell⟩]
    Das Unvermögen, nach dem ersten Satz eines Textes fortzufahren; das Erstarren im Vorsatz, bevor das Eigentliche beginnt.
    übertragen: die Hemmung, einen Anfang zu wagen, aus Angst vor dem Fortgang.
    Beispiel: „Er litt an Vorwortstarre und schrieb zeitlebens nur erste Sätze.“

    Hemdenleid
    Substantiv, Neutrum [⟨umgangssprachlich, ironisch⟩]
    1. Die Vorgehensweise, ehemals passende, im Laufe der Zeit jedoch zu groß oder zu klein gewordene Oberhemden in eine zuvor unbekannte Reinigung zu geben, ohne die Absicht, sie jemals wieder abzuholen.
    2. übertragen: Das bewusste Aufgeben von Dingen oder Lebensabschnitten unter dem Vorwand einer Rückkehr, die tatsächlich nicht beabsichtigt ist.
    Beispiel: „Er litt sein Hemdenleid, indem er drei zu enge Kragen in der Reinigung verschwinden ließ.“

    Nachwortleere
    Substantiv, Femininum [⟨ironisch, reflektierend⟩]
    1. Die Erfahrung, das Nachwort eines Buches eher zu lesen als den Text selbst.
    2. übertragen: Das Umkreisen des Eigentlichen, ohne es zu erreichen.
    Beispiel: „Er kannte die Nachwortleere besser als die Handlung.“

    Bücherreue
    Substantiv, Femininum; Genitiv: -, Plural: -n [⟨gehoben, nachdenklich⟩]
    1. Das Wissen, ein gekauftes Buch nie zu lesen, und dennoch seinen Platz im Regal zu verteidigen.
    2. übertragen: die Last unerfüllter Möglichkeiten.
    Beispiel: „Vor dem Regal überkam sie ihre Bücherreue.“

    Schlusssatzwucht
    Substantiv, Femininum; Genitiv: -, Plural: -en [⟨poetisch, monumental⟩]
    1. Die Schwere des letzten Satzes in einem Roman, der das Gesagte beschließt und das Ungesagte öffnet.
    2. übertragen: die ganze Bedeutung eines Weggangs, verdichtet in einem einzigen Laut.
    Beispiel: „Die Schlusssatzwucht ließ das Buch noch lange geschlossen in seiner Hand liegen.“

    Erstsatzlast
    Substantiv, Femininum; Genitiv: -, Plural: -en [⟨poetisch, schwer⟩]
    1. Das Gewicht des ersten Satzes in einem Roman, der zugleich Anfang und Urteil ist.
    2. übertragen: die Bürde des ersten Wortes, das mehr verheißt, als es je einlösen kann.
    Beispiel: „Die Erstsatzlast legte sich schwerer auf ihn als das ganze Manuskript.“

    Türumschlag
    Substantiv, Maskulinum [⟨poetisch, szenisch⟩]
    1. Das Schließen einer Tür im Augenblick des Verlassens eines Menschen, das sich wie das Zuklappen eines Briefumschlags vollzieht – endgültig, versiegelt, nicht mehr zu öffnen.
    2. übertragen: Der Moment, in dem eine Begegnung zu einem abgeschlossenen Dokument der Erinnerung wird.
    Herkunft: Kompositum aus Tür und Umschlag; verweist auf die Analogie zwischen architektonischem und epistolarem Verschließen.
    Beispiel: „Der Türumschlag ließ das Zimmer leer zurück, als hätte ein Brief sich selbst versiegelt.“

    Aufzugsstille
    Substantiv, Femininum; Genitiv: -, Plural: -n [⟨poetisch, lakonisch⟩]
    1. Die eigentümliche Lautlosigkeit in einem Aufzug, die Menschen im engen Raum zu Fremden macht.
    2. übertragen: ein Schweigen auf engem Raum, das weder Nähe noch Distanz zulässt und wie eine kurze Unterbrechung der Zeit wirkt.
    Beispiel: „Die Aufzugsstille begleitete sie wie ein ungesagtes Wort.“
  • Druck. Schub.

    Druck.

    Kein Gedicht. Nur der abgerissene Typ am Tresen. Redet.
    „Kunst, Baby. Alles Kunst.“
    Und grinst nicht.

    Nein. Ich grinse nicht.

    Musik scheppert. Von der Bühne. Von den Boxen. Wer weiß das schon. Vielleicht sind’s die Stooges. Vielleicht nur irgendeine Coverband, die das alles runterspielt. Brummende Marshall-Türme. Alles übersteuert. Alles gleich. Und am Ende ist’s egal. Hauptsache es übertönt. Ihr schaut zu, wie ich mich zerlege. Und denkt, da steckt Haltung drin. So eine Art bewusste Geste. Aber nein. Es ist nichts weiter als Schwerkraft. Restlicht. Der Körper zieht nach unten. Das Gesicht auch. Und wenn’s nur noch klebt, dann ziehst du die Füße hoch. Als wär das irgendeine Lösung.

    Druck tut so, als wär’s Orakel. Flüstert dir ins Ohr, dass morgen leichter wird. Und lügt sofort. Er drückt. Er lähmt. Er gibt mir Worte und zieht sie gleich zurück. Als wären sie Pfandware. Kellerbars sind ehrlicher. Niedrig. Feucht. Bröseliger Putz. Kein Ausblick. Leuchtstoffröhre. Schluss ohne Theater. Rauch in den Wänden. Schatten im Gang. Ein Automat spuckt Kippen aus. Aber keine Antworten. Frage. Antwort. Beides falsch.

    Ihr wollt ein Ende? Gut. Hier. Drama im Verlieren. Finale ohne Zugabe. Applaus wie Kleingeldregen. Wertloses Klirren auf dem Boden. Kein Vorhang. Nur ich. Klatschend. Für die eigene Katastrophe.



    Schub.

    Noch immer kein Gedicht. Nur der brennende Typ vor den Boxen. Schreit.
    „Alles ist jetzt. Alles!“
    Und meint es.

    Ja. Ich meine es.

    Musik prügelt. Hämmert von allen Seiten. Vielleicht PAWSA. Vielleicht irgendein DJ. Egal. Die Platte zerkratzt. Die Höhen schrill. Der Bass zu tief. Alles hämmert. Alles übersteuert. Ihr schaut zu, wie ich mich zerreiße. Und denkt, das ist Ekstase. Das ist die pure Auflösung. Aber nein. Es ist Strom. Es ist Flutlicht. Ein Schlag auf die Augen. Und wenn’s dir auf die Nerven geht, drehst du den Pegel hoch. Noch höher. Bis alles platzt.

    Schub kommt wie ein Wunder. Baut Texte aus Sekunden. Er schiebt. Er treibt. Worte wie Brand. Alles brennt. Sofort verbrannt. Nächte sind treibender. Stoßen aus dem Rücken. Pfeifen durch die Zähne. Machen die Beine leicht. Machen den Kopf scharf. Tempo. Kein Schlaf. Die Hände spucken Seiten. Songs. Bilder. Räume. Alles. Immer mehr. Zu viel.

    Ihr wollt Kontrolle? Vergesst es. Hier. Feuer im Überschuss. Ein Finale ohne Pause. Applaus wie Stromschläge. Kein Vorhang. Nur ich. Springend. In die eigene Explosion.



    Nichts. Alles.

    Druck will Ruhe. Der Schädel leer wie ein ausgeschabter Aschenbecher. Nichts fragt. Nichts antwortet. Die Stille riecht nach Fett und Altqualm. Worte wie Zement. Fallen raus. Bleiben liegen. Ein Song ohne Refrain hängt quer im Hals. Und das Schweigen sortiert schon die Akten. Der Tresen hält. Die Schuhe kleben. Die Uhr läuft seitwärts. Der Atem wird schmal. Der Tag bleibt draußen. Der Raum zieht zu. Schwarz. Servicehinweis des Abends.

    Schub will alles. Reißt die Nacht auf wie Folie. Die Wände schieben zurück. Worte sind Benzin. Flamme sofort. Jetzt. Immer jetzt. Hell wie ein Blitz ins Auge. Vorbei. Wieder da. Schneller. Lauter. Mehr. Das Blut beschleunigt. Arm voll Blitz. Die Gelenke klicken. Der Speichel schmeckt nach Metall. Die Schritte ziehen vor. Zu viel. Thermostat auf Ego.

    Kontrolle? Scheiß drauf. Sie tanzen trotzdem. Ein Walzer im leeren Saal. Verhaken sich. Taumeln weiter. Wie Köter, die ihrem Schatten nachrennen. Fallen. Stehen wieder. Das Stück läuft trotzdem. Publikum fehlt. Lächerlich.

    Running Gag. Ich stehe dazwischen. Mal Gewicht. Mal Feuer. Festgenagelt in der Mitte. Oder getrieben im Kreis. Zeilen, die durchdrehen wie Schrauben ohne Gewinde. Schnaps, der nichts hält. Mädchen, die morgen weg sind. Schatten. Stolpern zwischen Leere und Blitzlicht. Zwischen Brummen und Schweigen. Zwischen Rest und Aufbruch. Allein. Selfie ohne Gesicht.

    Bis einer gewinnt, frage ich. Und die Antwort kommt sofort. Nie einer. Immer beide. Ein Bleiklumpen quer auf den Rippen. Atmet mit. Zieht den Atem schmal. Flüstert bleib unten. Bleib im Schatten. Die Wände bröseln. Fragen falsch. Antworten müde. Bleib. Ticket ist eh nicht stornierbar.

    Hitzeschub durchs Gewebe. Heiß. Zuckend. Die Leitung reißt auf. Schreit renn, bevor du verrostest. Bau Takte aus allem. Tanz den Boden weich. Spuck Bilder. Seiten. Raus, was knallt. Zerfall als Drehzahl. Tempo als Gnade. Renn. Playlist. Flucht in A-Dur.

    Gift. Treibstoff. Ich feiere den Abriss. Zähle Verluste wie Deckelstriche. Tanze, wenn die Bude leer ist. Schreibe, während das Wasser steigt. Und wenn einer nach Wahrheit fragt, zeige ich das Glas, in das ich eben gespuckt habe. Sage: das hier, heute, jetzt. Nicht schön. Nicht klug. Aber tragfähig für den nächsten Satz.

    Genug. Abspann über Standbild.

    Ein Raum, der leer wird. Geräusche reißen ab. Ein Rest bleibt. Und verschwindet sofort. Ein Wechsel ohne Richtung. Kein Halt. Nur Wiederholung. Und ich tu so, als wär’s Absicht.



    Frederik Rentrop
    2023
  • Kippt

    Scheiben schwitzen Nacht.
    Drinnen: Hotel ohne Lüften.
    Restsex, Schweiß, Alkohol.
    Ich hocke drin,
    als wär’s mein Geruch,
    der nicht geht.

    Fenster hält Atem.
    Ein Hauch,
    fast nichts,
    trägt Kälte.
    Die Weite – nicht für mich.


    Mond: Scheinwerfer.
    Ein Kopf im Rausch.
    Dort dreht sich Glück.

    Straßen taunass.
    Lampen fahl.
    Schatten stolpern,
    Komparsen ohne Regie.

    Lärm schlägt Wände.
    Stimmen,
    von früher.
    Nicht mehr zu ertragen.


    Dunkel.
    Zwei Körper.
    Ein Atem zu nah.
    Kurzer Sieg.
    Sofort verloren.
    Wiederholt.

    Neben mir: die Flasche.
    Trennt Leben von mir.
    Wie draußen von drinnen.
    Wie wach von benebelt.
    Ich hebe sie an,
    was mich halten sollte –
    rinnt hinaus.

    Nacht am Fenster.
    Immer wieder.
    Wie ein Lied.
    Ohne Schluss.


    Frederik Rentrop
    2018
  • Flutmond

    Sie stolpert durch die Stunden.
    Der Kopf schwer, die Sicht nur ein Spalt.
    Raus will sie, raus aus dem Käfig. Irgendwas.

    Über ihr hängt ein kaltes Licht, leuchtstoffgrau.
    Sie sieht es nicht, will es nicht sehen.
    Das Zimmer ist muffig, warm, überfüllt von Nähe.

    Sehnsucht glimmt wie ein Funke im Wind.
    Dunkel zieht sie tiefer.



    Sie ist nah und gleich wieder weg,
    scheu wie ein Streuner.

    Eine Blume blüht, eine andere ahnt.
    Ich flüstere von Straßen, Nebel, Flucht.

    Sie hört halb, doch etwas bewegt sich.
    Ihr Herz schlägt schief, ein fremder Takt.

    Ein Ton greift, nimmt sie mit.
    Hoffnung taucht auf, dünn wie Asche im Wind.
    Glut, noch kein Feuer.

    ––

    Am Rand halte ich sie.
    Ein Puls zuckt, neu, wo keiner war.

    Sie atmet auf, ein Hauch, ein Hall.
    Ein Riss im Kern, plötzlich offen.

    Was verschlossen war, springt auf.
    Die Schwelle splittert.
    Zeit beginnt neu.

    –––

    Ihr Blick brennt, Funken in der Luft.
    Ein Schwur, kaum hörbar, fällt in die Stille.

    Zweifel sinkt ab.
    Ein Band entsteht, roh, ohne Schmuck.

    Sie will Sturm.
    Keine Ruhe.

    ~

    Meer rauscht im Kopf, Asphalt hämmert im Ohr.
    Ihr Leib glüht, vertraut.

    Ein Strom bricht los, wild und zart zugleich.
    Herz gegen Herz. Ein Ruck.

    Schmerz blüht, sie errötet.
    Sie atmet tief, will Pein tauschen gegen Lust.

    Ein Fluss läuft an, klar und gefährlich.
    Trieb erwacht, süß und falsch.

    Ein Schrei zerreißt die Luft.
    Flamme tanzt. Glut bleibt.
    Ein Beben macht sie frei.

    ––

    Ich gehe vor. Sie sieht.
    Ein Quell tritt aus, wird Wort, wird echt.

    Zwei Ströme, eine Zeit, ein Fluss.
    Ihr Schritt zeigt, was bleibt.

    Der Grund ist weich, fast geweiht.
    Wandel schützt. Schmerz wird klein.

    Licht bleibt im Kern, ein Ort, der hält.
    Sie kennt ihn. Er lässt nicht los.

    –––

    Ein Keim bricht durch. Schatten verglühen.
    Das Neue brennt. Asche fliegt.

    Das Herz frei, beschämt und hell.
    Alles, was sie trug, hat jetzt Gewicht.

    Die Knospe reißt auf. Rose lebt.
    Sie trägt etwas Neues, aus Licht und Dreck.

    Ihr Körper flimmert, ein Stern im Dunst.



    Und über allem hängt der Flutmond.
    Er hält.

    ––

    Die Nacht zersplittert.
    Sie bleibt – nicht nur stehen – sondern getragen.

    –––

    Ein Leuchten, das bleibt.
    ~

    Ein Halt, der nicht weicht.
    ~~

    Und sie weiß: jetzt ist sie ganz.

    ––––

    Frederik Rentrop
    2015
  • Playlist für Zahlen

    [1]
    Bleibt,
    erster Track im Set,
    spürbar,
    schwer.
    Läuft sowieso.
    (Opening-Nummer, na klar. Die Hoffnung, dass der Rest auch so gut wird wie die erste Kippe nach drei Wochen Pause.)



    <<<3<<<
    Schon geteilt,
    schon Stimmen,
    wie Vocals im Echo.
    Ineinander geschoben,
    nicht mehr zu trennen.
    (Drei ist schon Crowd. Ab hier muss man anfangen, die Leute zu mögen, sonst geht’s nicht.)



    ||11||
    Eine Reihe,
    zwei Stellen,
    zu viel für die Hand.
    Zwei Ziffern,
    out of Sync.
    (Zwei Einsen nebeneinander. Sieht aus wie Stäbchen. Nur dass ich nie mit Stäbchen essen konnte. Zu viel Konzentration, zu wenig Reis.)



    ### 27 ###
    Ein Haufen,
    ein Schwarm.
    Samples im Loop,
    zu dicht,
    kein klarer Drop.
    (Irgendwo in der Mitte des Abends. So viele Gesichter, so viele Drinks. Ich kann mich nur an die Barhocker erinnern, die zu hoch waren für meine Nacht.)



    100 BPM
    im Kopf,
    wie Herz im Maschinenraum.
    Ein Puls,
    der trägt.
    (Hundert Beats in der Minute. Also: tanzbar, aber nicht zu sehr. So wie ein Gespräch, das nie ins Peinliche kippt, aber auch nie wirklich gut wird.)



    [CAT:0204]
    Ein Register,
    eine Catalog-ID,
    wie im Label-Archiv.
    Ein Beat,
    ohne Bass.
    (Katalognummern sind für Leute, die alles ordentlich abheften. Ich habe nicht mal eine Schublade, die nicht klemmt.)



    9 0 5 7
    So groß wie Nebel,
    so ungenau wie Staub.
    Eine Streamingzahl,
    die niemand,
    mehr fühlt.
    (Zahlen, die niemand mehr versteht. Streams, Klicks, Follower. Jemand schreibt mir: ‚Krass, 9.000!‘ – Ich schreibe: ‚Ja.‘ Und lösche die App.)



    Und doch.
    Eins bleibt,
    im Kern,
    ungeteilt.
    Der Grundton,
    der trägt.
    (Am Ende ist es immer der gleiche Ton. Lauter. Leiser. Ducking. Ich rede mir ein, das reicht.)



    Frederik Rentrop
    2 0 1 4
  • Oben kein Service. Unten kein Flair.

    Oben kein Service. Ein stilles Zimmer.
    Vertrautheit wie ’ne Frau, die dein Ende kennt.
    Eine Hand, die bleibt. Ein Lachen, das den Dunst zerreißt.
    Kein Feuer. Kein Schweiß. Kein Puls.

    Unten kein Flair. Nur Hitze, roh, flüchtig.
    Leidenschaft wie ’ne Schlägerei. Ihr Körper. Weiter nichts.
    Du bist da. Haut überall. Ein Kratzer. Man nimmt’s hin.
    Keine Wurzeln. Kein Herz. Kein Licht.

    Oben kein Service. Unten kein Flair.
    Das Leben ’ne Spelunke. Mieses Licht.
    Liebe ein Halbstück. ’Ne Flasche, längst leer.
    Ein Schluck. Nie der ganze Traum.

    Oben sitzt du. Redest. Kommst zum Kern.
    Klar. Worte, die tragen, doch ohne Glut.
    Unten brennst du. Willst mehr. Nimmst es.
    Dann der Morgen. Alles weg. Nichts bleibt.

    Frederik Rentrop
    Seattle, 2013
  • Refrain

    Du lehnst dich vornüber,
    das Licht bricht hart auf deinen Schultern,
    wie Schweiß, der auf deiner Haut flimmert.
    Ich find dich dort,
    wo Haut zu Fieber wird,
    wo jeder Schritt die Luft in Streifen schneidet.

    Nichts bleibt stehen,
    nicht du, nicht ich.
    Ein Beat vibriert zwischen uns,
    wie ein Motor in einer Sommernacht,
    zieht uns mit,
    bis die Straße uns frisst.
    ––
    Was kommt,
    hängt nicht an dir,
    hängt nicht an mir.
    Es rinnt,
    wie Schweiß in den Kragen,
    wie Regen, der tropft.
    –––
    Wir halten nichts zurück.
    Dein Schrei schlitzt die Nacht entzwei,
    mein Griff packt den Puls,
    wie man eine Flasche packt,
    kurz bevor sie leer ist.
    ––––
    Und wenn alles zusammenkracht,
    Hitze, Salz, der Glanz von zerknittertem Licht,
    nehmen wir’s,
    wie einen Refrain,
    der zu gut ist,
    um nicht noch einmal zu kommen,
    noch einmal,
    bis die Nacht uns ausspuckt.
    –––––
    Frederik Rentrop
    Wipperfürth, 2010
  • Pferdeschwanzgedanken

    Ich ertappe mich.
    Schon wieder.
    Wie ich daran denke,
    an ihren Haaren zu ziehen.
    ~
    Nicht wild.
    Nicht Tarzan.
    Mehr so:
    „Bleib mal kurz hier.“
    ~
    Ein Griff.
    Ein Mini-Statement.
    Ein softes Ankern.
    ~
    Sie trägt sie hoch,
    Pferdeschwanz.
    Absichtlich, natürlich.
    Offen und Zopf.
    Gummi vom Büdchen.
    (Sie weiß, was sie tut.)
    ~~
    Wenn sie tanzt …
    vorn,
    leicht außer Reichweite …
    und tut, als wär ich Statist,
    dann muss ich.
    Ganz kurz.
    Einmal.
    ~~~
    Nicht halten,
    nur markieren.
    Ich seh dich.
    Das da ist echt.
    ~~
    Und sie?
    Lässt es zu.
    Vielleicht für mich.
    Vielleicht für sich.
    (Vielleicht beides.)
    ~
    Ich mag sie.
    Sehr sogar.
    Sie hat was verändert
    in mir.
    Nicht viel …
    besser: wenig.
    ~
    Mit ihr ist selbst
    Nichts machen
    ein guter Plan.
    ~
    Und manchmal,
    wenn ich daran denke,
    wie du gehst,
    wie du bleibst,
    wie du tanzt …
    ~~~
    dann wird’s still
    in mir.
    Für einen Moment.
    ~
    Und ich denk:
    Das ist vielleicht Liebe.
    (Oder was Besseres.)
    ~
    Frederik Rentrop
    2006





  • remix.groove/reprise

    der erste morgen findet uns hier.
    staub tanzt in einem hellen streifen.
    pflanze am fenster nickt uns zu.
    dein atem noch warm vom schlaf.
    dein lachen: erstes wort. immer richtig.
    ein grinsen, das mich kennt,
    der tag macht los, wir bleiben liegen.
    du bleibst nah.
    /
    du summst wie ferne bienen.
    vanille und stadt an deiner haut,
    so leicht, ein blinzeln.
    du nimmst meine hand, als wär’s zum ersten mal. track eins.
    wg-küche, magnete halten pläne.
    jemand streicht brot im halbschlaf,
    eine tür atmet. kann jemand kaffee? läuft.
    /
    kein ziel, kein plan, kein stress.
    nur diese küche mit offenem fenster.
    wasserkocher macht nebel,
    wir würzen den toast mit pfeffer
    und nennen das leben. passt.
    /
    ampel klickt, gleise singen, klick-klack.
    kaffee am rhein, dampf in der hand.
    ein boot bügelt die welle,
    ein kran rückt den himmel an die stelle.
    mein herz hält mit. neu kalibriert.
    /
    uhr langsam, blick schnell,
    bis wir uns wiedersehen.
    den rest erzählen wir dort. später.
    /
    du zeigst mir die abkürzungen.
    ich erfinde umwege.
    wir treffen uns genau dazwischen,
    an einem büdchen, das auch im winter an sommer glaubt. hook.
    /
    vinyl nur noch als leise rille in der erinnerung.
    handy ohne balken.
    wir tauschen erzählungen.
    dein heute, mein jetzt,
    remix aus worten,
    wir lassen sie laufen. nur mit uns. repeat.
    /
    uferweg, brücke, wind an der wange.
    cafés, die uns noch nicht kennen.
    wir üben unser echo,
    lassen es irgendwo zwischen den stühlen stehen. refrain im raum.
    /
    du fühlst den groove, ich halt den beat,
    deine söckchen auf der heizung,
    mein satz auf deinem zettel,
    die stadt klopft durch die wände,
    wir klopfen zurück. call & response.
    /
    kein ziel, nur shuffle,
    und dieses gemeinsame zählen.
    eins für den mut, zwei für die spannung,
    drei für „bleib“, vier für „gehst du mit?“.
    fünf – und schon sind wir weiter.
    /
    nachts liegt die stadt wie türme aus gläsern.
    jeder schritt zieht bahnen aus licht.
    wir gehen im jetzt verloren,
    und bleiben gerne dort.
    und morgen ist egal.
    zusammen. goodnight.

    frederik rentrop
    köln, 2005